11.03.2006 PDF

Du bist Deutschland? Frag, was Du für Dein Land tun kannst und fühl dich einfach gut dabei!

Ein Text von jimmy boyle berlin

Fünf Millionen Arbeitslose, Lohnsenkung, Arbeitszeitverlängerungen, steigende Lebenshaltungskosten, Kürzungen der Sozialleistungen und verschuldete Privathaushalte, so sieht derzeit die materielle Situation für die meisten Menschen hierzulande aus. Dass von solchem Lebensglück noch mehr zu erwarten ist, lässt sich locker dem Regierungsprogramm und den Unternehmungsplanungen entnehmen. In solchen Situationen gibt es immer mal wieder eine Kampagne zur Hebung der Stimmung im Lande, weil die Politik und die Unternehmen darauf angewiesen sind, dass ihr Arbeitsmaterial alle Torturen, die sie ihm bereiten, als Chance für sich betrachtet. Im Abbau von Sozialleistungen sollen die Arbeiter wahlweise eine Rettung des Sozialstaats erkennen oder aber eine Kostenentlastung ihrer Lohntüte (als wenn man mehr in der Tasche hätte, wenn man sich Rente und Gesundheit privat finanzieren muss). In den Lohnsenkungsprogrammen der Unternehmen sollen die Arbeiter die Rettung ihrer Erwerbsquelle entdecken und nicht etwa die Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Die Zustimmung der Lohnabhängigen zu ihrer dauerhaften Drangsalierung ist für Politik und Kapital eine Produktivkraft. Und die sind nicht nur unzufrieden, wenn mal wieder gestreikt wird. Alleine der Eindruck, dass die Massen Lohn- und Rentenkürzungen nur mürrisch ertragen, ist ihnen Ärgernis genug.


Bei der Kampagne "Du bist Deutschland" haben sich dieses Mal nicht Politiker, sondern viele Medienunternehmen zusammengetan, ihre Ressourcen benutzt und mit der Unterstützung von prominenten Kulturschaffenden eine Kampagne für mehr "Mut, Selbständigkeit und Eigenverantwortung" in die Welt gesetzt. Ob wirtschaftliche Überlegungen dahinter stecken (wirtschaftlicher Aufschwung = Werbeeinnahmen) oder aber pure nationale Verantwortung als Motiv, bei ihnen stellt das keinen Gegensatz dar. In der Regel geht bei ihnen ja wirtschaftlicher Erfolg mit dem nationalen Erfolg einher.

Anders liegt die Sache bei den Adressaten. Nicht dass es sich bei denen um eine Ansammlung von vaterlandslosen Gesellen handeln würde. Auch sie lassen auf die Nation nichts kommen, aber der materielle Nutzen der großen Veranstaltung Deutschland stellt sich bei ihnen nicht so recht ein. Und deshalb braucht der kleine Mann und die kleine Frau immer mal wieder eine Auffrischung in Sachen "worauf kommt es wirklich an". "Du bist Deutschland" ist dabei nicht bloß eine komische grammatikalische Konstruktion, sondern eine neue, psychologische Variante, den unteren Einkommensschichten zu sagen, dass es nicht auf die materielle Bedürfnisbefriedigung anzukommen habe.

"Du bist Deutschland" - Nationalismus auf Psychologisch

Erstens bist du nur ein kleines Rädchen. In der Masse wird aus den kleinen Rädchen aber zweitens eine große Sache. Drittens: Ohne dich kommt die große Sache nicht zustande. "Du bist von allem ein Teil. Und alles ist ein Teil von dir", heißt es in dem Werbespot.(1) Weil es auf dich ankommt, kannst du dich viertens in der großen Sache spiegeln. Und das soll in der Kampagne "Du bist Deutschland" letztlich der Ansporn für mehr Leistung sein. Sie wirbt also nicht damit, dass man von dem Resultat der großen Anstrengung in irgendeiner Weise materiell was hätte, z.B. eine sichere Rente oder mehr Lohn. Das Engagement soll sich rein aus dem ideellen Wiederfinden in der bewerkstelligten Sache speisen, also aus dem guten Gefühl dabei gewesen zu sein. Es ist, als nähme man an einem Töpferkurs teil, nicht um hinterher eine Vase zu haben oder im Töpfern selbst einen netten Zeitvertreib zu finden, sondern nur wegen der puren Selbstbestätigung im Resultat, egal wozu die Vase taugt und wie blöd die Arbeit selber war. "Du bist die Vase" wäre dann das Gleiche wie "Du bist Deutschland". Beim Töpfern ist diese Idiotie allerdings folgenlos, bei Deutschland dagegen eine existentielle Angelegenheit.

"Frage dich nicht, was die anderen für dich tun. Du bist die anderen. (...) Behandle dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Meckere nicht über ihn, sondern biete ihm deine Hilfe an." Dass man über einen Freund auch meckern kann, ist eine Nebensache. Über die vielen Bilder in der Kampagne (z.B. "Du bist die Flügel, du bist der Baum") haben sich auch schon viele lustig gemacht. Das kann man im Internet hoch und runter lesen und dabei bemerken, dass dadurch die Gemeinheit der Kampagne verpasst wird. Verglichen mit dem Originalspruch "Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst!" (J.F. Kennedy), der ein offensichtlicher Abweis von Ansprüchen ist und Pflicht einfordert, leistet die harmlose Freundestour nicht weniger. Bei Freunden rechnet man auch nicht immer nach und darum soll es hier gehen: Halt´s Maul und reiß dich am Riemen!

Der Bezug auf die Bedürfnisbefriedigung, die Frage, ob es sich lohnt für Deutschland was zu tun, wird durch die psychologische Tour in der Kampagne konsequent umgangen. Dies findet seine Fortführung in der Aufforderung, sich ignorant gegenüber den materiellen Bedingungen zu stellen: "Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. (...) Bring die beste Leistung, zu der du fähig bist. Und wenn du damit fertig bist, übertriff dich selbst". Hier sind sich die Kampagnenheinis sicher, dass sich die Leute schon am richtigen, nämlich am Arbeits-platz austoben werden: "Egal, wo du arbeitest. Egal, welche Position du hast."

Natürlich kann man sich nur mit einer Sache identifizieren, wenn man sie irgendwie gut findet. "Du bist ein überfahrenes Reh", wäre nicht so richtig eingängig. Die Lohnabhängigen der Republik werden an ihrem "für Deutschland" sein, also ihrem schon vorhandenen Nationalismus gepackt. Die Nörgler, die im Visier der Kampagne stehen, sind ja tatsächlich nur solche, die mal über die da oben schimpfen und es dabei bewenden lassen. Leute, die immer wissen, dass es einige Bösewichter sind, die das Gelingen der deutschen Produktionsgemeinschaft durcheinander bringen. Leute, die so fest daran glauben, dass das System insgesamt in Ordnung ist, es aber immer wieder an den richtigen Führungskräften fehlt. Dieser präsente Nationalismus wird in der Kampagne angesprochen und zugleich aufgefrischt.

Insofern unterscheidet sich "Du bist Deutschland" nicht von früheren Aufrufen fürs gemeine Volk. Kohl forderte 1982 eine geistig moralische Wende und Roman Herzog 1997 einen "Ruck durch Deutschland". Das Arbeits- und Arbeitslosenvolk soll nicht zu viele Ansprüche an den Staat stellen und ordentlich anpacken bzw. sich in die Niedriglohnkonkurrenz bewegen. Der Unterschied besteht allein darin, dass früher (und heute wird in der Regel auch nicht drauf verzichtet) mehr mit der Pflicht und ein ganz wenig mit einem "das lohnt sich in ferner Zukunft" argumentiert wurde.
"Du bist Deutschland" verzichtet auf diese beiden Hebel und setzt bloß auf die ideelle Zufriedenheit dabei zu sein. Kein Wunder, dass vielen als Lob zur Kampagne einfällt, dass man (endlich) mal wieder stolz auf Deutschland sein kann.

"Verantwortung ja, aber bitte für alle!"

Manche halten nicht viel von dieser Form, in der für die Identifikation mit Deutschland und den Einsatz für diese Gesellschaft geworben wird. Aus dem gewerkschaftlichen Lager wird kritisiert, dass durch diese Werbung für mehr Eigenverantwortung Politik und Unternehmen aus der gesellschaftlichen Verantwortung entlassen werden. So will zwar auch die IG-Metall-Jugend "die einzelnen Menschen nicht aus der Verantwortung für ihr eigenes Leben" entlassen, verweist aber darauf, dass sich an vielem "individuell nun mal nichts machen" lässt. "Dort ist die Gesellschaft, der Staat gefragt." (siehe Homepage IGM-Jugend zu "Du bist Deutschland"). Und wunderbar hat so die Gewerkschaftsjugend (wie viele andere auch) mit nörgelndem Impetus die gesamte Gesellschaft mit all ihren Figuren, die sich mit unterschiedlichem Erfolg wechselseitig eins reinwürgen, in eine Verantwortungsgemeinschaft verwandelt. Nur auf einzelne die Verantwortung abwälzen, dass finden sie blöd. Aber, dass alle in der Konkurrenz, dem Regieren und dem Regiertwerden einem gemeinschaftlich Höheren verpflichtet seien, diesen Mist teilen sie mit der Kampagne.

Im Ernst: Wenn Vermieter modernisieren, dann wollen sie hinterher möglichst viel an der Wohnung verdienen. Die meisten Mieter haben mit dem Preis ein ernsthaftes Problem. Unternehmen sind da um Gewinne zu machen. Damit haben Lohnabhängige dauernd ein Problem. Und die Regierung will das Wirtschaftswachstum fördern und pflegt daher die Konkurrenz in der Gesellschaft. Mit der Politik haben also alle ein Problem, die in der Konkurrenz systematisch den Kürzeren ziehen, egal ob die Regierung rechts oder links ist, was man in Berlin an der PDS beobachten kann. Von Verantwortung reden, vom "wir", vom Volk usw. steht höchstens denen gut zu Gesicht, die einen Nutzen von Kapital und Nation haben. Die anderen sollten das lassen und z.B. unsere Texte "gegen Nation und Kapital" lesen: www.junge-linke.de


1 Soweit nicht anders ausgewiesen, alle Zitate aus dem Werbespot.