25.07.2018 PDF

Pascal Tückes „Produktion des reinsten Tauschwertes“

In der „ConAction“-Ausgabe Nr. 12 schrieb Pascal Tücke über die „Produktion des reinsten Tauschwertes“. In diesem Artikel sind uns einige Punkte aufgefallen, die, wie wir vermuten, auf einer falschen Lesart des darin zitierten Werks von Karl Marx basieren, und die wir im Folgenden versuchen, klarzustellen.

Tücke schreibt: „Die industrielle Gesellschaft […] trennt Arbeiten auf, sodass der Mensch nur noch einen begrenzten Wissensschatz hat, was man produzieren kann. Der Mensch ist gezwungen zu tauschen, weil er nicht mehr alles Lebensnotwendige selber fertigen kann, zeitlich gesehen sowie von Fertigkeiten aus.“

Industrielle Gesellschaft bedeutet keineswegs automatisch Produktion für den Zweck des Tausches, es ließe sich industriell auch direkt für die Bedürfnisbefriedung produzieren. Würden Menschen alles Lebensnotwendige selber, jeder für sich, fertigen, würden sehr viele von ihnen draufgehen und der Rest würde sich mühevoll mit dem Erhalt ihres Lebens abplagen.

Industrielle Gesellschaft und Arbeitsteilung sind nicht von sich aus dem Zweck der Produktion für den Tausch subsumiert. Pascal Tücke macht allerdings in der Arbeitsteilung selbst die Ursache für den Zwang zu Tauschen und weitere kapitalistische Übel aus. Zwar setzt der Zweck, für den Tausch zu produzieren, also in und mit dem Tausch Wert zu realisieren, eine gesellschaftliche Teilung der Arbeit voraus: Würden alle das ihnen Lebensnotwendige selbst herstellen, hätten sie keinen Anlass zum Tausch. Deswegen ist das Aufteilen von gesellschaftlich nötigen Arbeiten jedoch nicht der Grund, warum Arbeitsprodukte als Waren gehandelt werden. Das liegt schon an dem Zweck, für den sie produziert werden: Erzielung von abstrakten Reichtum, Wert. Auch für das Ziel der Sicherung der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung wäre die Einrichtung einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung und industrielle Fertigung sinnvoll: Die potentiell arbeitssparenden Vorteile von Spezialisierung, Kooperation und maschineller Produktion würden wir jedenfalls nicht der Autonomie opfern wollen, ganz für sich allein den mehr oder weniger widrigen eigenen Lebensumständen ein Leben abzutrotzen.

Tücke verharmlost in dem Zitat auch die Zwänge der kapitalistischen Produktionsweise. Würde es schlicht am fehlenden Wissen liegen, dann empfehlen wir den Gang in eine Bibliothek. Allerdings reicht es gar nicht aus, zu wissen wie man was produziert. Dazu braucht es einmal die Produktionsmittel, die man sich erst einmal leisten können muss, und dann auch noch die Leute und die Zeit, den entsprechenden Produktionsprozess auch anzuleiern. Leider sind alle aber schon damit beschäftigt, für eben jene zu arbeiten, welche die Produktionsmittel besitzen, damit sie Miete usw. zahlen können.

Tückes Diagnose hinkt auch an andere Stelle: „Die Entfremdung des Produktes, die bisher darin lag, dass man nicht mehr einen Stuhl eintauschen lässt, geht nun weiter und benennt nicht mehr das Produkt oder den Tauschwert, sondern das Gefühl, das man mit einem Kauf erwirbt. Man kauft keinen Teller mehr, sondern Schmidts Edelkeramik Besteck und damit erwirbt man den Anschein wohlhabend zu sein.

Die Gleichsetzung von arbeitsteiliger und warenproduzierender Gesellschaft fortsetzend, sieht Tücke nicht, dass es tatsächlich ein Phänomen des Kapitalismus ist, von Sachen, die mehr Qualität haben, durch einen für die eigene Geldbörse zu hohen Preis ausgeschlossen zu sein. Das soll nicht im Umkehrschluss heißen, dass alles, was teuer ist, per se auch besser ist. Eine reale Dimension hat es aber schon. Diejenigen, die sich viel teures Zeug leisten können, sind nicht nur dem Anschein nach wohlhabend.

Tückes zentrale These vom „reinen Tauschwert“ ist auch deswegen nicht stichhaltig, weil es voraussetzt, dass sich getrennt vom Subjekt bestimmen ließe, ob etwas Gebrauchswert hat oder nicht. Mit anderen Worten: Tücke schwingt sich auf zu sagen, was Leute WIRKLICH brauchen und was nicht. Dass es zahlungskräftige Nachfrage nach etwas gibt, was es aus unserer, Tückes oder sonst wessen Sicht nicht sinnvoll sei (Landminen, Dieter-Bohlen-Poster, Rosenkohl) erklärt sich nicht einfach damit, dass die böse Werbeindustrie „künstliche“, „unechte“ etc. Bedürfnisse entwickelt. Schon im von Tücke zitierten „Kapital“ zieht Marx die Bibel als Beispiel für einen x-beliebigen Gebrauchswert heran.

Am Kapitalismus gäbe es gar nicht so viel auszusetzen, wenn sein ganzer Mangel wäre, dass lauter Leute komische Ideen im Kopf haben, was sie so zum Leben brauchen. Dann muss man denen das einfach erklären und Puff ist der Kapitalismus ganz toll. Auch hier verharmlost Tücke den Kapitalismus der massenweise Leute von dem ausschließt was sie brauchen, das bilden die sich gar nicht einfach ein.

Fragwürdig erscheint auch Tückes Entfremdungsbegriff : Im Tausch fände eine Entfremdung vom Gebrauchswertcharakter des Produkts statt: Nicht mehr der Gebrauchswert an sich (Teller) wird nachgefragt, sondern ein Status erworben (Anschein von Wohlstand über Edelkeramik). Sicher, es gibt Arten von Einkäufen, die auch oder ausschließlich der Selbstpräsentation dienen. Dieses Bedürfnis wäre für sich erklärenswert. Dass es sich bei ihm aber um eine Entfremdung vom Gebrauchswert handelt ist eine steile These.  Es scheint so, dass Tücke diese Art von Verwendung von Produkten missbilligt, weil er das Bedürfnis schlecht findet. Statt es aber zu kritisieren, erklärt er es für verfehlt angesichts des eigentlichen Zwecks dem Gebrauchswerte zu dienen hätten: für den Konsum da zu sein. So scheidet Tücke in unentfremdete eigentliche, weil legitime Bedürfnisse und entfremdete, weil von ihm missbilligte Bedürfnisse.