15.02.2004 PDF

We are wieder wer - Kritik des Sprachpurismus und des Vereins Deutsche Sprache (VDS)

Bitte nicht wundern: Bei diesem Text sind die Fußnoten-Links aufgrund einer Webpagemigration kaputt gegangen. Aus dem Text und der Literaturliste am Ende des Textes wird die Quellenangabe allerdings ersichtlich.


Vortrag von jimmy boyle berlin - junge linke am 12.Mai 2004
im Rahmen der Maiwochen der Humboldt-Universität Berlin
Siehe: http://maiwoche.piranho.com/maiwoche2004/


We are wieder wer
Sprachpurismus und Kulturnationalismus Then and Now

1. Einleitung

In der aktuellen Ausgabe der Vereinszeitung "Sprachnachrichten"(1) schreibt der zweite Vorsitzende des Vereins deutsche Sprache e.V., Gerd Schrammen, folgendes:

"Das Klischee von der Sprache als lebendigem Organismus sollten wir endlich überwinden. Sprache wird gemacht - das gilt ganz besonders für das in die deutsche Sprache eingeschleuste Neuanglodeutsch. Es wird von denen gemacht, die die Macht dazu haben, d.h. über Mittel verfügen - Medien, Werbung, öffentliche Anerkennung -, um es durchzusetzen." (2)

Einerseits ist Herrn Schrammen natürlich beizupflichten, was den Anfang seiner Behauptung betrifft. Sprache ist in der Tat nicht mehr, aber auch nicht weniger als das Resultat von Konventionen, von Menschen gemacht. Sie hat jenseits der Lautebene nichts Naturgesetzmäßiges. Jeder Mensch ist prinzipiell in der Lage jede existierende Sprache zu erlernen und darüber hinaus sogar gänzlich neue zu erfinden, die wiederum von jedem anderen, der sich auf die neu etablierten Konventionen einlässt, erlernt werden können.

Betrachtet man jedoch unter dieser von ihm selbst aufgestellten Prämisse den zweiten Teil der Einlassung des Sprachschützers, enttarnt sich sein Argument zunächst als Widerspruch in sich und letztlich als rein ideologisches. Er erkennt an, dass Sprache nicht nur ursprünglich "gemacht" ist, sondern auch, dass in logischer Konsequenz die Konventionen, die das Gerüst einer Sprache bilden, wandelbar sind. Während er aber angloamerikanische Einflüsse auf die deutsche Sprache auf der einen Seite verurteilt, hat er auf der anderen Seite nicht nur keine Einwände gegen die gezielte Einflussnahme deutscher Muttersprachler auf dieselbe Sprache - er beteiligt sich sogar aktiv daran. Dem ist dreierlei zu entnehmen:

1. Obwohl Schrammen von einem "Konstruktcharakter" der Sprache ausgeht, unterscheidet er offenbar gute (domestische) und schlechte ("eingeschleuste") Einflüsse auf Sprache. Oder anders ausgedrückt: Er lehnt richtigerweise die Vorstellung von einer naturhaften Sprachentwicklung ab, trennt aber zwischen natürlichen und widernatürlichen Einflüssen.

2. Der angeblich gezielte Einfluss der Wirtschaft - über Werbung und Medien - korrumpiert die Sprache. Das "Volk" muss sich genauso gezielt dagegen wehren.

3. Guter, weil natürlicher, Einfluss auf die deutsche Sprache kann offenbar nur von Deutschen ausgehen.

Bei der Beschäftigung mit sprachpuristischen Bewegungen stellt sich generell zunächst die Frage: ist es sinnvoller sie schwerpunktmäßig auf der sprachwissenschaftlichen oder auf der ideologischen Ebene zu kritisieren. Ohne es zu wollen oder zu wissen, beantwortet Gerd Schrammen diese Frage selbst. Seine Argumentation ist exemplarisch für die des VDS, indem sie zwar sprachwissenschaftliches Interesse und Fachwissen behauptet, dieses aber, sofern überhaupt im Argument vorhanden, von vorn Herein der Annahme unterworfen ist, dass die deutsche Sprache dem deutschen "Volk" nun einmal eigen und adäquat sei. Die Arbeitsprämisse des VDS hat damit keinen wissenschaftlichen, sondern ausschließlich einen ideologischen Kern.

Dieser Text wird dementsprechend diese Hierarchie übernehmen und sich in auf eine Ideologiekritik der Politik des Vereins deutsche Sprache konzentrieren. Die Aufdeckung von linguistischen Fehlern und Widersprüchen in den Veröffentlichungen des Vereins oder anderen puristischen Beiträgen, wird dabei weitestgehend vernachlässigt werden, obgleich diese zweifelsfrei zahlreich sind. Die Gefahr, die sich hinter der oft scheinbar harmlosen Politik solcher Vereine verbirgt, liegt nicht in der wortklauberischen Praxis der Sprachschützer. Sie liegt vielmehr in den nationalistischen Denkmustern, die derzeit durch sie, quasi durch die Hintertür, weiter an Bedeutung gewinnen.

2. Daten und Fakten

Der Verein deutsche Sprache e.V. wurde 1997 von dem Düsseldorfer Wirtschaftsmathematiker Walter Krämer gegründet. Nach eigenen Angaben zählt er aktuell bereits über 18,000 Mitglieder, darunter nicht wenige prominente Namen wie FU-Professor Fritz Vilmar, der auf seiner Berufsbezeichnung pochende "Liedermacher" Reinhard Mey und der Berliner Klamauk-Kabarettist Dieter Hallervorden. Die führenden Positionen des Vereins, wie auch der 1999 gegründete "Wissenschaftliche Beirat", sind beinahe ausschließlich mit promovierten und habilitierten Akademikern besetzt. Besagter "Wissenschaftlicher Beirat" setzt sich aus 14 Mitgliedern zusammen, darunter mehrheitlich Germanisten und mindestens drei tatsächliche Sprachwissenschaftler.

Das Hauptbetätigungsfeld des Vereins ist die Öffentlichkeitsarbeit in verschiedenen Ausprägungen. Jährlich publiziert bzw. aktualisiert er eine sogenannte Anglizismenliste, die aktuell über 5,000 Wörter umfasst. Diese Listen enthalten Übersetzungsvorschläge für englische Lehnworte im deutschen Sprachgebrauch. Ich werde im nächsten Abschnitt genauer auf diese "Verdeutschungsarbeit" und ihre historischen Vorbilder eingehen.

Des weiteren verleiht der VDS seit einigen Jahren den sogenannten "Kulturpreis Deutsche Sprache", der Verdienste um die Erhaltung und Förderung der deutschen Sprache belohnt und mit insgesamt 45,000 Euro dotiert ist. Im vergangenen Jahr erhielt Ludmila Putina, die Ehefrau des russischen Präsidenten, den Jacob-Grimme-Preis (den Hauptpreis des dreigeteilten Kulturpreises) mit der Begründung, dass sie Deutsch als Fremdsprache in Russland zu neuem Prestige verholfen habe. Das Jahr zuvor wurde der Preis an den offen antiamerikanischen Dramatiker Rolf Hochhuth verliehen.

Das Gegenstück zu dieser Preisverleihung ist die Kürung des sogenannten "Sprachpanschers des Jahres". Hierbei stellt der VDS Unternehmen und prominente Einzelpersonen öffentlich an den Pranger für Schäden, die diese der deutschen Sprache im vergangenen Jahr angeblich zugefügt hätten. Der "Gewinner" dieses Titels hieß im letzten Jahr Dr. Klaus Zumwinkel, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post AG. Zur Begründung der Auswahl ein Zitat aus der Vereinsbroschüre:

"Damit würdigt der Verein das Gedankenlose Anbiedern an den amerikanischen Kulturkreis, wie es sich in den postalischen Bezeichnungen One Stop Shopping, Global Mail [...] usw. äußert. Der Verein Deutsche Sprache e.V. sieht darin kein Zeichen von Weltoffenheit, sondern einen peinlichen Beweis des Misstrauens gegen unsere Sprache und Kultur." (3)

Die Bedeutung, die diese "Anbiederung" für Walter Krämer, den Unterzeichner dieses Urkundentextes hat, kann man einem seiner Zitate aus dem vergangenen Jahr entnehmen, laut dem Deutschland "50 Jahre nach Kriegsende [...] damit zum zweiten Mal kapituliert, diesmal kulturell." (4)

Als letzten großen Wurf hat der VDS den sogenannten "Tag der deutschen Sprache" ausgerufen, den der Verein seit einigen Jahren an jedem zweiten Samstag im September begeht. An diesem Tag wird die Vereinsbotschaft offensiv nach außen getragen in Form von diversen Veranstaltungen und Infoständen in beinahe jeder Stadt, die über einen VDS-Ortsverband verfügt. Ziel dieses selbstausgerufenen Feiertages ist es laut der offiziellen Broschüre einerseits, zu bewirken, dass "wir unsere eigene Sprache schätzen", da sie nur so "im Ausland, besonders in der EU, ernstgenommen wird", und andererseits, zu verhindern, dass "sich die kulturellen Schwächephasen der Vergangenheit und Gegenwart künftig wiederholen".(5) Wer im ersteren Anliegen ein erstarktes und expansives "Wir sind wieder wer" Denken erkennt und im letzteren einen wehmütigen Bezug auf die Zeit nach ´45 - als "kulturelle Schwächephase" -, lehnt sich sicherlich nicht sonderlich weit aus dem Fenster. Auf beide Phänomene werde ich später noch stärker eingehen.

3. "Verdeutschungsarbeit" und ihre historischen Vorbilder (6)

Bereits seit dem 17. Jahrhundert, seit der Gründung des einflussreichen höfischen Kulturpflegevereins Fruchtbringende Gesellschaft 1617, wehrt man sich im deutschsprachigen Raum gegen die "einmischung frembder außländischert wort"(7). Das wohl prominenteste Mitglied dieser Gesellschaft, Justus Georg Schottel, war schon damals der Überzeugung, dass "der Enderung der Sprache [...] die Enderung der Sitten"(8) folge. Mit anderen Worten: fremder Einfluss auf die deutsche Sprache verdirbt nicht nur diese, sondern zersetzt das deutsche "Wesen" an sich.

Seit dieser Zeit ist das wohl populärste Mittel der Sprachpuristen das der später sogenannten "Verdeutschung". Phillip von Zesen, ebenfalls Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft und später Gründer der Deutschgesinnten Genossenschaft, war der erste, der Kompendien mit Übersetzungsvorschlägen für damals vorrangig lateinische und französische Wörter im deutschen Wortschatz herausgegeben hat. Einige seiner erfolgreichen Vorschläge waren Abstand (statt Distanz), Rechtschreibung (statt Orthographie) und Vollmacht (statt Plenipotenz). Weniger erfolgreich waren Übersetzungen wie Gesichtskreis (statt Horizont), lustwandeln (statt spazieren) und Gesichtserker (statt Nase).

Der wohl bekannteste "Verdeutscher", der überhaupt erst den Begriff der "Verdeutschungsarbeit" erfunden hat, war Joachim Heinrich Campe. Entsprechend seiner Epoche betrachtete Campe sich als Aufklärer, genauer als "Volksaufklärer". Hauptanliegen Campes war es, der breiten Masse im deutschen Sprachraum einen Zugang zu offiziellen Diskursen zu ermöglichen, in denen zu dieser Zeit noch weitgehend auf lateinische und französische Vokabeln zurückgegriffen wurde. Dass dies aber vor allem ein Resultat der Tatsache war, dass sich, anders als in Frankreich und England z.B., zu diesem Zeitpunkt noch keine einheitliche Hochsprache in Deutschland durchgesetzt hatte, erkannte Campe nicht. Für ihn war der fremdsprachliche Einfluss auf die Deutsche Sprache ein gezielter Angriff, wie der Titel seines Anfang des 19. Jahrhunderts publizierten Hauptwerks beweist: "Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke".

Von Campes etwa 3000 Verdeutschungsvorschlägen haben sich insgesamt nur wenige durchgesetzt. Beispiele hierfür sind u.a. Ergebnis (statt Resultat), Feingefühl(statt Delicatesse) und Lehrgang (statt Kursus). Der Sprachhistoriker Alan Kirkness geht jedoch davon aus, dass über 90% von Campes Übersetzungen nicht angenommen wurden, wofür er dreierlei Gründe anführt:

1. Es handelte sich um Lehnworte, die bereits vollständig in den deutschen Sprachgebrauch aufgenommen worden waren (z.B. Zwischenstille statt Pause)

2. Es handelte sich um spezifische, anerkannte Fachtermini (z.B. Zergliederungskunst statt Anatomie)

3. Es handelte sich um Begriffe, die Dinge oder Ideen aus anderen "Kulturen" bezeichneten (z.B. Spitzgebäude statt Pyramide)

An diesen Irrtümern Campes zeigt sich ein grundsätzlicher methodologischer Fehler fast aller sprachpuristischer Verdeutschungsarbeit. Die Puristen beurteilen so genannte Fremdworte ausschließlich etymologisch, d.h. nur vom Ursprung des Wortes her. Den tatsächlichen gegenwärtigen Status der betreffenden Wörter im Sprachgebrauch vernachlässigen sie dabei allerdings zumeist gänzlich.

Der Verein deutsche Sprache hat in seiner Anglizismenliste(9) versucht, diesen Fehler zu vermeiden, indem er Legenden bereitstellt, die bei jedem Wort darauf hinweisen, inwieweit es bereits im deutschen Sprachgebrauch etabliert ist. Diesen Legenden entsprechend sind allerdings nur 3% aller untersuchten englischen Wörter auch tatsächlich im deutschen Sprachgebrauch "bewährt" und müssen oder sollten nicht mehr verdeutscht werden. 16% klassifiziert der VDS als "differenzierend" was soviel heißt wie: hilfreicher Begriff, BIS wir einen besseren deutschen dafür gefunden haben! - und ganze 80% als "verdrängend". Wirft man nun einen Blick in die eigentliche Liste, erscheint diese Aufstellung noch fragwürdiger als ohnehin schon.

Ein Eintrag in der Anglizismenliste 2003 sieht z.B. folgendermaßen aus:

homing: heimkehren U;3

Das soll uns sagen: Das Wort "homing" wird umgangssprachlich (U) gebraucht und verdrängt (3) dadurch das deutsche Wort "heimkehren". Das wirft zwei Fragen auf:

1. Wo in der Umgangssprache wird das Wort "homing" überhaupt in dieser Bedeutung gebraucht?

2. Wenn es tatsächlich ein in der Umgangssprache durchgesetzter Begriff wäre, warum müsste dieser dann übersetzt werden, da doch die Sprecher, die ihn verwenden, ihn offenbar auch verstehen?

Beispiele wie dieses durchziehen die aktuelle Anglizismenliste wie ein roter Faden. Aber damit nicht genug:

An anderer Stelle findet sich folgender Eintrag:

Safe: Geldschrank, Panzerschrank, Tresor U;3

Wiederum soll das bedeuten, das englische Wort Safe verdränge deutsche Entsprechungen wie Tresor. Fragwürdig ist hier einerseits, ob nicht eigentlich jedem deutschen Sprecher sowohl das eine, als auch das andere ein Begriff ist und inwiefern man in diesem Fall dann noch von "Verdrängung" sprechen kann. Anderseits fragt man sich einmal mehr, worin eigentlich genau das Problem bestünde, wenn auf einmal niemand mehr einen gepanzerten Schrank für Wertsachen als Tresor, dafür aber jeder im deutschsprachigen Raum als Safe kennen würde. Da in diesem Fall Verständnis eben kein Argument mehr wäre, müsste es dann ausschließlich darin bestehen, dass Deutsche auch gefälligst deutschstämmige Wörter zur Bezeichnung von Dingen und Ideen verwenden sollen.

Ein letztes Beispiel aus der Verdeutschungsarbeit des VDS sieht so aus:

inline-skater: Kufenroller, Rollschuhläufer S;2

Das Prinzip ist mittlerweile klar: Inline-Skater(der Gegenstand) soll mit Kufenroller übersetzt werden. Der VDS gesteht durch die Wertung "2" zwar ein, dass dieser Vorschlag vielleicht noch nicht die optimale Übersetzung darstellt, aber besteht nichtsdestoweniger darauf, dass der englische Begriff nicht so stehen bleiben kann. Nehmen wir also einmal an, der VDS erreiche in Kürze den internen Konsens, dass Kufenroller doch eine adäquate Übersetzung für Inline-Skater sei. Nehmen wir weiter an, die Mitglieder des Vereins würden dann, wie sie es in ihrer bürgerinitiativen Art gerne tun, diesen neuen Begriff offensiv in der Öffentlichkeit verwenden. Es wäre im Gegensatz zum durchgesetzten Inline-Skaterzunächst einiger Denkaufwand nötig, damit Kufenroller auf das Gerät bezogen würde, das der Begriff bezeichnen soll. In Sachen Verständnis wäre somit der deutschstämmige Begriff das "Fremdwort", das - wie sonst eigentlich vom VDS verpönt - zu allem Überfluss auch noch tatsächlich aktiv gegen den täglichen Sprachgebrauch durchgesetzt würde.

Auf diese hier vorgeführten Arten, die Verständnis lediglich als Phrase ins Feld führen, sich aber letztlich in keinem der Fälle wirklich darum scheren, ist es in der Tat nicht schwierig, sich eine existenzielle Bedrohung der deutsche Sprache zu konstruieren.

4. Sprachpurismus und Nationalsozialismus

Sprachpuristische Bewegungen haben in Deutschland ihre Höhepunkte nicht zufällig immer zu Zeiten völkisch-nationalen Aufbegehrens gehabt: Kurz nach der Reichsgründung 1871, vor dem Ersten Weltkrieg und in den letzten Tagen der Weimarer Republik. Die Ursache hierfür liegt in darin, dass auch der sogenannte Kulturnationalismus letztlich immer auf Volk und Nation in seiner Argumentation zurückgreifen muss und sein verstärktes Auftreten daher automatisch ein Resultat der Popularität dieser Ideale war und ist. Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass die bislang radikalste Phase des Purismus im nationalsozialistischen Deutschland stattgefunden hat. Angelehnt an die völkische Ideologie der Nazis, aber auch zum teil in grotesker Weise noch darüber hinausgehend, betätigten sich die deutschen Sprachschützer zwischen 1933 und 1940 als Kulturkämpfer. Puristischer Hauptakteur und Musterbeispiel dieser Entwicklungen war der Allgemeine Deutsche Sprachverein. Gegründet 1885, in einer frühen Hochphase des Reichsnationalismus, zählte er 1914 bereits 37,790 Mitglieder aus unterschiedlichsten Schichten und ist damit bis heute der größte Sprachschutzverein in der deutschen Geschichte.

Bereits während des Ersten Weltkriegs bezog der Sprachverein offensiv Stellung gegen die Gefahr aus der Fremde. So bezeichnete der Verleger Eduard Engel in der Vereinszeitung "Muttersprache" Fremdworte als "Krebsgeschwür am Leibe deutscher Sprache, deutschen Volkstums, deutscher Ehre" und mahnte, dass nur ein "deutschsprechendes deutsches Volk" auch "Herrenvolk" werden und bleiben könne. (10) Die Krankheitsmetaphorik des ersten Zitats findet sich im Übrigen auch heute in Veröffentlichungen des VDS. In der aktuellen Ausgabe der "Sprachnachrichten" spricht der Vorsitzende Walter Krämer z.B. von der "Anglizitis", die es zu besiegen gelte.

Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 radikalisierte sich die Sprachpolitik des Vereins, der sich mittlerweile selbst als "die SA unserer Muttersprache" bezeichnete, noch weiter. Die abstruseste Ausprägung dürfte gewesen sein, dass Mitglieder des Vereins in offenen Briefen Hitler und vor allem Goebbels höchstpersönlich für deren vermeintlich überflüssigen Fremdwortgebrauch kritisierten. So beanstandete in einer Ausgabe der "Muttersprache" von 1934 z.B. ein Sprachschützer, dass "das wichtige und wohltätige "Gesetz vom 14. Juli 1933 zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" überflüssigerweise das Fremdwort Sterilisation verwende, anstatt diese Dinge in guter deutscher Ausdrucksweise Entmannung oder Unfruchtbarmachung zu nennen". (11) Auch die Kritik der Puristen an Konzentrationslagern beschränkte sich auf den Begriff, der als "Sammel- oder Zwangslager" einfach schöner gewesen wäre.

Diese Ideologie, die sich zwar an der Säuberung des "Volkskörpers" freuen mochte, die Säuberung der "Volkskultur" aber doch bitte zuerst verwirklicht sehen wollte, passte zum Leidwesen des Sprachvereins nicht in das Konzept der Nazielite. Besonders der Propagandaminister Goebbels wählte seine Worte mit Bedacht und das häufig gerade mit dem Ziel, sich durch einen intellektuellen Sprachgebrauch von seinen Zuhörern abzuheben. So wurde, entweder durch einen Sieg der Autoritätshörigkeit über den Spracheifer oder durch nackte Angst um die eigene Stellung, jede weitere Kritik an der Naziprominenz von der Vereinsspitze untersagt. Dennoch wurde der Verein 1940 per Erlass geschlossen. Das mag zwar zum Teil an der sehr verhaltenen Kritik gelegen haben, in der man sich deutscher als der Führer selbst gerierte, aber sicherlich nicht am mangelnden Enthusiasmus für die nationalsozialistische Bewegung.

1946 gründete sich die aus ehemaligen Mitgliedern des Sprachvereins zusammengesetzte Gesellschaft für deutsche Sprache und übernahm die Zeitschrift "Muttersprache", die nahtlos fortgesetzt wurde. Beide existieren bis heute. Wenn die Gesellschaft für deutsche Sprache auch keine explizit nationalistische Sprachkritik mehr betreibt - distanziert hat man sich in der "Muttersprache" von deren Funktion während der Nazizeit mit keinem Wort.

Die radikalste Entwicklung, die der Sprachpurismus im Nationalsozialismus durchlaufen hat, knüpfte direkt an die Erlassung der Nürnberger Rasse-Gesetze von 1935 an. Mit der juridischen Erhebung des Antisemitismus zur Staatsmaxime entdeckte auch der Allgemeine Deutsche Sprachverein die explizit rassistische Sprachkritik als neues Betätigungsfeld. In einem Artikel über Wörter jiddischen Ursprungs in der Januarausgabe der "Muttersprache" von 1936 schreibt der Germanist Alfred Götze:

"Gottlob haben wir wieder gelernt, dass wir Germanen sind. Wie verträgt sich damit die Pflege einer im jüdischen Verbrechertum wurzelnden Unsitte? Es ist [des Deutschen] nicht würdig, seinen Wortschatz aus dem Ghetto zu beziehen und aus der Kaschemme zu ergänzen. (12)

Die Kritik, die hier an Worten wie, in diesem speziellen Fall, dem Wort "keß" geübt wurde, hatte nichts mehr mit der sprachlichen Beschaffenheit des Wortes an sich zu tun. Alle bisherigen und, bislang, nachfolgenden Sprachschützer haben sich, mehr oder weniger ernsthaft, zumindest immer noch auf die Verständlichkeit oder phonologische Unverträglichkeit eines Wortes berufen. Laut dem Sprachhistoriker Peter von Polenz galt "keß" im Berlin der 20er und 30er Jahre dagegen zwar als ein Wort mit niedrigem Niveau, als Fremdwort wurde es allerdings gemeinhin nicht aufgefasst. Das Problem, dass Sprachschützer wie Götze damit hatten, lag ausschließlich darin, dass es seinen Ursprung angeblich "im jüdischen Verbrechertum" hätte. Diese einzigartige ideologische Niederung des Sprachschutzes haben Puristen auch bis heute noch nicht wieder erreicht. Allerdings ist die aktuelle Entwicklung, die offenkundige Motivation der Sprachschützer des VDS gerade mit Blick auf diesen historischen Fall besonders besorgniserregend.

5. Moderner Sprachpurismus und Antiamerikanismus

Die der Kritik heutiger, bürgerlicher Sprachschützer zugrunde liegende Überzeugung ist die von einem Gegensatz zwischen europäischer Hochkultur und US-amerikanischer Un-Kultur. In Zeiten, in denen sich die sogenannte globalisierungskritische Bewegung "old europe" als Kampfbegriff auserkoren hat und Verschwörungstheorien auch und gerade unter Linken zu Bestsellern werden, eröffnet sich der Purismus durch das Schüren der Angst vor einer gezielten "McDonaldisierung" von Traditionskultur ganz neue Unterstützerkreise.

Dass diese Rechnung zumindest in den einflussreichsten Staaten der EU ganz wunderbar aufzugehen scheint, zeigen nicht zuletzt die kulturpolitischen Entwicklungen in Frankreich über die letzten 10 Jahre. Bei staatlichen Verboten gegen die Benennung öffentlicher Räume mit englischen Namen (von Ämtern bis hin zu Kneipen) und einer strikten Quote für französischsprachige Musik im Radio trüben sich die Augen deutscher Sprachpuristen mit Neid. (Hierbei sei auf die Urheberschaft des VDS im Rahmen der Kampagne für eine Quote für deutschsprachige Songs im Radio im Herbst 2004 hingewiesen.)

Da in Deutschland bislang jedoch die Leier von der bedrohten Hochkultur nur mäßige Erfolge beschert hatte, musste der Sprachschutz hierzulande noch etwas anders eingefärbt werden. Die Geschichte der letzten hundert Jahre zeigt eindrucksvoll, welche Methode noch immer ein Garant war, um in Deutschland die Massen zu mobilisieren. Indem der VDS den Einfluss der englischen Sprache auf die deutsche als gezielten Angriff darstellt, werden die Deutschen einmal mehr zu Opfern US-amerikanischer Täter stilisiert. Wenn man daraufhin, wie schon zuvor zitiert, davon spricht, dass sich "kulturelle Schwächephasen der Vergangenheit" nicht wiederholen dürften, ist für jeden aufrechten Sprachfreund klar: Dieser Bedrohung gilt es, sich zu widersetzen. Letztlich ist es ja womöglich gerade die Zeit der alliierten Besatzung gewesen, in der sich englische Vokabeln besonders stark in den deutschen Sprachgebrauch eingeschlichen haben.

Die wehrhafte deutsche Sprach- und Kulturpolitik sieht dann in der Selbstdarstellung von Walter Krämer so aus:

"[Wir sind die], die nicht tatenlos danebenstehen, wenn die weltweite Kulturvielfalt mit einer übelriechenden McDonald`s-Coca-Cola-Einheitssoße überschüttet wird. Wir sabotieren die globale Herrschaft von Disneyland und Hollywood, wir lassen unser schönes Land nicht zum 51. Bundesstaat der USA verkommen." (13)

Dass das Anklang in fast allen politischen Lagern findet, vom "Junge Freiheit" Abonnenten über den kulturkonservativen Bildungsbürger bis hin zum angeblich linken US-Fahnenverbrenner am 1. Mai, der in Deutschland und Europa nur die Lakaien des amerikanischen Kapitals sieht, ist ebenso naheliegend wie kalkuliert.

Passend hierzu ist auch der fliegende Wechsel zwischen einem diffusen Antikapitalismus einerseits, der von der Wirtschaft als Akteur der "Sprachverhunzung" spricht und den Standortargumenten andererseits, die sich u.a. in Plädoyers für Deutsch als Wissenschaftssprache finden.

Auf der einen Seite stellt sich der Vorsitzende im Grußwort der Vereinsbroschüre explizit gegen "McDonalds, Coca-Cola und Hollywood" und kritisiert damit die angebliche Identität Amerikas mit seiner Wirtschaft. Unklar bleibt, ob Krämer Wiener Wald, Fassbrause und Babelsberg dagegen halten will. In jedem Fall aber ergeben sich aus dieser Frontstellung zwei Schlussfolgerungen:

1. Der VDS vertritt den Glauben, dass die amerikanische Kultur von der Wirtschaft bestimmt und untrennbar ist sowie die Annahme, dass das in Deutschland und Europa nicht der Fall sei.

2. Es geht offenbar doch um mehr, als "nur" um Sprache, da Hamburger schließlich ein deutsches Wort ist, Coca-Cola immerhin kein explizit englisches und amerikanische Filme in deutschen Kinos in der Regel sowieso nicht "The Cowboy Way", sondern "Machen wir´s wie Cowboys" heißen.

Auf der anderen Seite scheint dem VDSdas Florieren zumindest der deutschen Wirtschaft sehr wohl am Herzen zu liegen. Diese könne jedoch nur dann im internationalen Wettbewerb bestehen, wenn sie sich aus dem amerikanischen Würgegriff befreie und sich als nationale begreife. In der bürgerinitiativen Sprache des VDS bzw. Walter Krämers liest sich das so:

"Wir sind das Volk! Wir sind die Leute, [...] liebe Werbefuzzis, die Eure Produkte kaufen sollen. Und wenn ihr wollt, daß wir [...] Eure Produkte kaufen, dann müsst ihr in unserer Muttersprache mit uns reden." (14)

Deutsche allerdings, die sich an solche sprachliche Vorgaben nicht halten, können, so der Tenor des VDS, keine richtigen Deutschen sein. Sie werden entweder schlichtweg ausgebürgert und als "Amerikaner mit deutschem Pass" bezeichnet oder ihnen wird die Zugehörigkeit zur sogenannten deutschen Sprachgemeinschaft entzogen, weil sie sich zu Lakaien des amerikanischen Kulturangriffs gemacht haben. Letzteres liest sich in der Gründungserklärung des Wissenschaftlichen Beirats des VDS dann so:

"Die Sprachmacht ist in hohem Maße an Werbeagenturen, Journalisten und Prominente gefallen. Dies ist zu beklagen: Sie muss der Sprachgemeinschaft zurückgegeben werden."
[...]
"Die deutsche Sprache ist ein Kulturgut, das nicht Werbeleuten, Journalisten und Prominenten aus allen Sparten überlassen werden darf. Die Definitionsmacht darüber, was gutes Deutsch ist [...], muss ihnen bestritten werden".
(15)

Der Beirat spricht hier von deutschsprachigen "Werbeleuten, Journalisten und Prominenten". Trotzdem sind diese für ihn offenbar nicht Teil der sogenannten deutschen Sprachgemeinschaft. Diese zwei Zitate bedeuten daher nichts anderes, als dass eben der VDS allein bestimmt, was gutes Deutsch ist und nur ein guter bzw. ein echter Deutscher, wer seine Definitionsmacht anerkennt. Anders ausgedrückt: eine rhetorisch etwas aufgepeppte Version von: "Geh doch nach drüben, wenn Du (in diesem Fall) Englisch sprechen willst."

Alles in allem ist diese Form von kulturpolitischem Antiamerikanismus nicht neu und auch alles andere als unzeitgemäß. Sie ist Resultat und Ausdruck der politisch-ökonomischen Konkurrenz Deutschlands gegen die USA. Während sicherlich viele Anhänger des VDS aus Angst vor Europa und einem möglichen Verlust nationaler Identität zum Nationalismus tendieren, haben die führenden Mitglieder des Vereins dagegen den Zeitgeist erkannt: Sie machen ihre Politik vorrangig nicht etwa gegen die USA und Europa (weshalb man z.B. in der Fremdwortliste des VDS kein einziges französischstämmiges Wort findet), sondern mit Europa gegen die USA. Zweifellos besteht unter den Mitgliedstaaten der EU eine Konkurrenz fort, aus der auch Deutschland als führende Kraft hervorgehen will. In der Sprachpolitik des VDS manifestiert sich diese u.a. so, dass er die Entscheidung über EU-Amts- und -arbeitssprachen vom "demographischen und ökonomischen Gewicht"(16) abhängig machen möchte, wonach natürlich Deutsch zwingend den Status der Hauptarbeitssprache der EU erhalten müsste.

Jenseits dieser Konkurrenz ist aber die EU, in einem dem Kapitalismus inhärenten Prozess nationalstaatlichen Vormachtstrebens, natürlich vorrangig ein Projekt, den USA ihren Status als derzeit alleinige Weltmacht abzuringen. In diesem Rahmen ist es dann auch nur logisch, Kampfbegriffe wie "old europe", die metaphysische Konstruktion der guten alten Kulturen, denen ihre Sprache im Blut liegt, gegen die neue, traditionslose Un-Kultur der USA aufzubauen. Auf diese Weise kann dann auch der deutsche Sprachschützer (in Verkennung der politischen Zusammenhänge oder auch nicht) den Franzosen oder den Italiener und abstruserweise sogar den Engländer als gleichgestellten, wenn auch von ihm grundverschiedenen Kulturmenschen akzeptieren. Die Front gegen den barbarischen Amerikaner ist damit schon so gut wie gebildet. (17)

Natürlich weiß unterdessen auch Walter Krämer, dass das deutsche Gegenstück zu McDonalds nicht Goethe, sondern Kochlöffel heißt und, andersherum, das amerikanische Gegenstück zu Kleist nicht Coca-Cola, sondern Hemingway, Whitman oder Poe. Wer aber bedrohte deutsche und europäische Geistesgeschichte auf der einen Seite und den bedrohenden kulturlosen Rohling auf der anderen Seite für seine Argumentation braucht, kann dieses Wissen natürlich nicht preisgeben.

6. Schlusswort

Peter von Polenz behauptet in seinem Aufsatz über "Sprachpurismus und Nationalsozialismus" eingangs, dass es wirklichen Purismus in Deutschland heute nicht mehr gäbe, sondern dass Fremdwortkritik nach `45 nur einem "Unbehagen an modischen Erscheinungen" entsprungen sei. Zwar wurde dieser Aufsatz bereits 1967 veröffentlicht und somit vor der nationalistischen Renaissance im wiedervereinigten Deutschland, zutreffend war seine Behauptung aber auch schon damals nicht.

Es ist zweifellos richtig, dass weder die Fremdwortkritik der Nachkriegszeit, noch die Arbeit des VDS heute gleichzusetzen ist mit der Politik des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins in den Jahren des Nationalsozialismus. Die Ideologie, auf der puristische deutsche Sprachkritik aber zu jeder Zeit beruht hat, ist dennoch dieselbe. Die Modeerscheinungen, gegen die man in Deutschland nach dem Krieg Unbehagen empfand, waren natürlich als "undeutsch" wahrgenommene Modeerscheinungen. Die Fremdwörter, die der VDS heute verdeutschen will, definiert er als solche, weil sie keinen deutschen Wortstamm haben. Ohne wirklich darauf zu achten, welchen Status sie im deutschen Sprachgebrauch haben, zeichnet er propagandistische Szenarien einer sterbenden "Kultursprache". Da mag noch die eine oder andere Vokabel als "nützlicher Ausländer" hereingelassen werden, aber ansonsten ist das deutsche Sprachboot voll.

Ein solches Denken, dass einen metaphysischen Begriff von Kultur voraussetzt, die dem Menschen qua Geburt und Nationalität zukommt, mögen die prominenten Mitglieder des Vereins zwar nicht explizit im Munde führen. Es sollte aber in dieser Besprechung der Veröffentlichungen des Vereins Deutsche Sprache klar geworden sein, dass völkisches und nationalistisches Denken die notwendige Grundlage seiner Politik bildet.


Literatur

Kirkness, Alan. „Das Phänomen des Purismus in der Geschichte des Deutschen“. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hrsg. Werner Besch, Oskar Reichmann, Stefan Sonderegger. Erster Halbband. Berlin/New York: de Gruyter, 1984.
Polenz, Peter von. Deutsche Sprachegeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Berlin/New York: de Gruyter, 1999.
Polenz, Peter von. „Sprachpurismus und Nationalsozialismus“. Germanistik — Eine deutsche Wissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1967.
Verein deutsche Sprache, e.V. Informationen für Neugierige. Mai 2003.
Verein deutsche Sprache, e.V. Sprachnachrichten 22 (2004)
Verein deutsche Sprache, e.V. Sprachpolitische Leitlinien
Verein deutsche Sprache e.V. 5. April 2004